Bei dieser Debatte entsteht gerade eine Konstellation, bei der die eine Seite den islamischen Sexismus zum Anlass nimmt, der anderen Seite Beschwichtigung und zweierlei Maß vorzuwerfen und die andere diesen Vorwurf nur ungeschickt zurückweist und ihn damit teilweise zu bestätigen droht:
Die rechtskonservativen Kreise fingen an, die
Sylvestervorfälle für ihre Zwecke zu missbrauchen, z.B Birgit Kelle, indem sie sofort nach
Bekanntwerden zu einem Rundumschlag gegen den Feminismus ausholte, ironisch beklagte, dass es noch keinen #aufschrei gegeben habe. Für das zweite steht leider die Initiatorin des damaligen #aufschei Anne
Wizorek, im Unterschied zu Alice Schwarzer, die im Prinzip die richtigen
Schlussfolgerungen gezogen hat. Daher ist es wichtig daran zu erinnern, dass es
ohne den Feminismus und „Genderismus“ der jüngeren Zeit keine größere Debatte
über und Ächtung von sexueller Belästigung geben würde.
Ebenso ist es wichtig wie Alice Schwarzer darauf
hinzuweisen, dass es in der islamischen Welt noch enorme Defizite diesbezüglich
gibt, die auch bei der Problematik von Migration und Integration berücksichtigt
werden müssen. Und deswegen ist es sehr schwach und spielt der Häme von Birgit
Kelle in die Hände, wenn Anne Wizorek im SPIEGEL-Gespräch mit Alice Schwarzer
lediglich zugesteht, dass in anderen Ländern das Patriarchat durchaus noch
stärker ausgeprägt ist als in Deutschland, aber eine weitere Thematisierung des
Islam in dem Zusammenhang rassistisch sei. Die Hinterfragung des islamischen
Frauenbildes, wie es Alice Schwarzer, Hamed Abdel Samad und Zana Ramadani
fordern, wird, wenn überhaupt, nur sehr kurzfristig, den rechten und
konservativen Kräften nützen, da es sich zwangläufig gegen jede religiöse
Bigotterie richtet. Wenn die Femen-Aktivistin Zana Ramadani hier oder ganz deutlich bei Markus Lanz feststellt, dass die Übergriffe sehr wohl
etwas mit dem Islam zu tun haben, dann wird dies die fortschrittlich motivierte
Religionskritik fördern, die selbsternannten Islamkritiker aus national-chauvinistischen
und christlich-fundamentalistischen Kreisen aber können damit nichts anfangen,
deswegen werden sie sich auf solche Stimmen höchstens nebenbei berufen und
ihnen wird dadurch gezeigt, dass sie kein Monopol auf „Islamkritik“ haben. Wenn
man sie damit wirklich konfrontieren würde, würde sich zeigen, dass ihre
Religionskritik und ihr Einsatz für Frauenrechte nicht so weit gehen kann wie
bei Alice Schwarzer, Zana Ramadani und Hamed Abdel Samad, weil sie dann
jegliche religiösen und konservativen Strukturen hinterfragen müssten.
Es ist auch immer
wichtig zu betonen, dass der #aufschrei vor drei Jahren sich nicht speziell
gegen Rainer Brüderle richtete, sondern dieser nur vielleicht ungeschickterweise
den Anlass bot und es vielmehr darum gegangen ist, Erfahrungen mit dem Sexismus
aller Art zu sammeln, sowohl dem wirklich übergriffigen als auch dem
unterschwelligen. So müsste zurückgefragt werden, worüber sich diejenigen jetzt
aufregen, die vorher noch wie Birgit
Kelle rieten, die Bluse zuzumachen, also demselben Schema folgten, dass
prinzipiell auch hinter der islamischen Verschleierung steht und von muslimischer
Seite mit dem Gleichnis von der Antilope und dem
Löwen so glänzend zum Ausdruck gebracht wurde. Siehe hier.
Hamed Abdel Samad hat im Cicero den Zusammenhang zwischen
restriktiver Sexualmoral und Neigung zu sexueller Gewalt richtig dargestellt.
Dabei muss allerdings auch daran erinnert werden, dass dies für jede
sexualrepressive Religiosität gilt. Als sich die entsprechende Einsicht in Bezug
auf die katholische Sexualmoral bei der Missbrauchsdebatte verbreitete, wurde
dies von gewissen Leuten zurückgewiesen und dagegen gehalten, dass die
Lockerung der Sexualmoral seit den 60er Jahren verantwortlich sei. Auch hier
werden sich also gewisse Konservative, die sonst keineswegs von einer lockeren
Sexualmoral angetan sind und als Mittel gegen Vergewaltigung und sexuellen
Missbrauch nur noch strengere Sexualnormen und Tabus fordern, nur sehr begrenzt
auf Hamed Abdel Samad berufen können.
Ebenso wurde der Zusammenhang zwischen Islam und
Frauenverachtung auch von radikal-linker, hier trotzkistischer, Seite in der Linken Zeitung
dargestellt: Hier und hier.
Jedoch in dem leider in linken Kreisen maßgeblichen
Magazin Konkret wurde (im
Februar) jetzt in heuchlerischer Weise die ganze Debatte um die
Sylvestervorfälle als rassistisch abgetan, einfach nur weil es Deutsche sind,
die über andere Kulturen nachdenken. Wenn es um Israel geht, wird dort aber
genau ein solcher anti-arabischer Rassismus propagiert, weil dort die Araber
die eigentlichen Deutschen seien; im Unterschied dazu misstraut der ursprüngliche harte
Kern der Antideutschen um das Magazin Bahamas durchaus den Muslimen auch in Europa. Es ist das genaue
Gegenteil von dem, was Jürgen Elsässer und andere sogenannte Querfrontler, also
rechte Antiimperialisten auszeichnet, die Sympathie für bestimmte Muslime im
Kampf gegen das Imperium haben, sie aber nicht im eigenen Land wollen.
Auf derartige Irrtümer, die innerhalb des progressiven und
feministischen Spektrums Einfluss zu nehmen drohen, hat auch Sebastian Müller von Le Bohemien hingewiesen.
Es wird verlogen und schief, wenn die Debatte denen
überlassen würde, die aus reaktionären
Motiven den Sexismus der Mehrheitsgesellschaft leugnen und solche Vorfälle nur
zum Anlass nehmen sich gleichzeitig in ihrem Hass auf den Feminismus und die
Einwanderung zu bestätigen und denen, die den besonderen Sexismus anderer Kulturen leugnen.
In der Tat kann es nicht sein, dass es eine Deutungshoheit
bei den Kräften gibt, die bisher den Kampf gegen Sexismus lächerlich gemacht
haben und Geschlechternormen befürworten, wie sie noch bis Anfang des 20.
Jahrhunderts galten und die sich nur graduell von den islamischen unterscheiden,
so wurde ja erst 1997 gegen diese konservativen Kräfte durchgesetzt, dass Vergewaltigung
auch in der Ehe ein Straftatbestand ist. Wo sich das Frauenbild der islamischen
Welt schon grundsätzlich unterscheidet, ist eine andere Frage, die auf einer
anderen Ebene liegt, jedenfalls nicht in dieser Hinsicht, dass im Abendland
schon von jeher auch in den tiefsten christlichen Jahrhunderten die Stellung
der Frau eine bessere gewesen wäre.
(Es wäre interessant, wo sich das abendländische von
arabischen Frauenbild grundsätzlich unterscheidet: Vielleicht ist das erste
extremer mit dem gesteigerten Marienkult, es gibt Heilige und Huren. Im zweiten
ist die Frau generell untergeordnet)
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